D as Möbelstück kennen viele. Aber kaum jemand seinen Erfinder. Peter Ghyczy entwarf 1968 das „Gartenei“: einen aufklappbaren Outdoor- und Indoor-Sessel aus Kunststoff und in Pop-Farben, dessen Klappe zugleich Rückenlehne ist und der verschlossen an ein Ufo erinnert. Karl Lagerfeld erwarb eines, ebenso Rod Stewart, später auch der britische Designer Tom Dixon. Das Gartenei steht in den Sammlungen internationaler Designmuseen – im V&A in London, in Holon oder Brüssel, noch dazu wurde es vielfach kopiert.
Aber es brauchte erst dessen 50. Jubiläum, den Retrokult und die grassierende Begeisterung für Möbelklassiker, um auch den Gestalter selbst in den Fokus zu rücken. Peter Ghyzcy, 77, deutscher Architekt und Designer ungarischer Abstammung, Kunststoffpionier und Unternehmer, wird 2018 gleich mit zwei Ausstellungen geehrt.
Die erste fand Anfang des Jahres im ADAM – Brussels Design Museum statt, die zweite ist noch bis 14. Oktober im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum zu sehen. Der Designer hat ein ganzes Konvolut seiner Kunststoffobjekte als Schenkung an das Haus gegeben, sie wird als Teil der Schau „Von der Idee zur Form“ präsentiert.
Grund genug, Peter Ghyczy in seinem kleinen Wasserschloss im niederländischen Beesel, dicht hinter der deutschen Grenze, zu besuchen. Er lebt hier mit seiner Ehefrau Barbara – und mit seinen Entwürfen. Im Salon sind alle Möbel von ihm, ein antiker Schrank ausgenommen, an den Wänden hängen Gemälde seines Sohnes Dénesh, eines seiner vier Kinder. Im Nebenzimmer stehen Prototypen, ein kobaltblaues Daybed in Kombination mit einem Beistelltisch in Rot, Weiß und Blau, inspiriert von Miró. Im Esszimmer sticht eine Hängeleuchte ins Auge, deren Korpus aus Kunststoffplatten gefertigt ist, und im Wintergarten stehen zierliche S02-Stühle. Auf ihrem schwarzen Stahlrohrgestell scheint die Sitzfläche zu schweben, die schmale Rückenlehne ist schwenkbar und so besonders komfortabel. Dafür entwickelte Ghyzcy eigens ein kleines Gelenkpaar, das die Lehne rechts und links hält und Mechanismus und Dekor zugleich ist.
Solche Details sind typisch für seine Arbeit. „Eigentlich ist mein Mann Ingenieur“, sagt seine Frau. Schon die Tische seiner Pioneer-Serie aus den 70er-Jahren entstanden aus dem Wunsch heraus, ihre Glasplatten nicht zu rahmen, sondern schlicht in die Metallbeine zu klemmen. Ähnlich funktioniert auch das gläserne Regal R03, das nur eine Linie an der Wand zu sein scheint und sich aufgrund der Statik selbst in einer kleinen Stahlschiene fixiert. „Funktionalität ist der Ausgangspunkt für Form und Ästhetik neuer Entwürfe“, hat der Designer einmal gesagt. Klingt nach Bauhaus, ist aber Ghyczys Philosophie, die er frei von Strenge umsetzt. Vielmehr ist Eleganz ihm wichtig, dass ein Möbel „auch von hinten, auch von unten schön ist“.
Vom Wintergarten aus blickt man in den Schlosspark, dessen alter Baumbestand den gebürtigen Ungarn an sein Elternhaus erinnert, Gut Vásárosnamény in der Puszta: Es war von hohen Bäumen umstanden, die weithin sichtbar waren. Seine Familie wurde 1952 enteignet, und als auch der Volksaufstand 1956 niedergeschlagen worden war, floh er als 16-Jähriger zu Fuß über die Grenze nach Österreich und von dort weiter nach Bonn. „Man kann nicht sagen, dass es ein tragisches Schicksal war. Ich empfand es eher als Abenteuer“, sagt er heute und blickt ernst durch seine kleine Hornbrille. „Es war zwar tragisch, dass ich meine alten Klassenkameraden hatte verlassen müssen. Aber dass ich gezwungen war, neu zu beginnen, war auch eine Chance. Es verlieh mir Freiheit, ungebunden von Altem und Neuem zu sein.“ Allerdings gibt er auch zu: „Ich wurde in Deutschland nicht heimisch, ich blieb ein Außenseiter.“
In einem Internat in Bad Godesberg bestand er das Abitur mit Bravour, versuchte sich kurz in der Bildhauerei und entschied sich dann für ein Architekturstudium an der Technischen Universität in Aachen. Schon damals entwarf er erste Möbel für seine Studentenwohnung. Nach dem Abschluss arbeitete er in Paris, später wieder in Bonn als Architekt, empfand die Anforderungen aber als zu dogmatisch. Dann erfuhr er von einer jungen Firma in Niedersachsen, die einen neuen Kunststoff entwickelt hatte. Er stellte sich vor und wurde sofort engagiert. Die Elastomer GmbH war Teil eines Firmengeflechtes, das Visionär und Unternehmer Gottfried Reuter aufgebaut hatte.
Es waren die wilden 60er-Jahre – und Ghyczy landete im 2000-Seelen-Dorf Lemförde. Doch er tobte sich mit dem neuen Wunderwerkstoff Polyurethan aus, leitete die Designabteilung, die den Kunststoff populär machen sollte. Sein Budget: eine Million Mark. Ghyczy entwarf multifunktionale Kindermöbel, fahrbare Outdoor-Sessel mit Faltdach, modulare Sitzlandschaften und einen der ersten Sessel, der per Guss in einem Stück hergestellt werden kann – Spring sollte später von Vitra (damals Fehlbaum GmbH) vertrieben werden. Und er erfand das Gartenei.
Dann beendete die Ölkrise den Plastikboom, das Designcenter schloss, und die inzwischen sechsköpfige Familie Ghyczy fand in einem heruntergekommenen Schloss in den Niederlanden ein neues Zuhause. In dem Anwesen, das der Familie von Barbara Ghyczy gehörte, das aber niemand haben wollte, gab es in den ersten Jahren nicht mal eine Heizung. „Aber die Kinder haben hier im Schlossgraben schwimmen und Schlittschuhlaufen gelernt“, erzählt sie. Ihr Ehemann ergänzt: „Ich setzte mich hier eines Tages in die Nachmittagssonne, ich war jung, ich wusste, hieraus kann ich etwas machen.“
Das ist zweifelsfrei geglückt, die ehemaligen Nebengebäude sind vermietet, Sohn Felix wohnt auch nebenan. Ihm ist es geschuldet, dass die mehrfach umfirmierte Firma floriert, die Peter Ghyczy 1971 gründete und die heute schlicht Ghyczy heißt. „Verkaufszahlen haben meinen Vater nie interessiert“, sagt er. Der erste Versuch mit einem Unternehmen im nahe gelegenen Viersen „scheiterte furios, aber mit einer großen Portion Fortune“, beschreibt Felix Ghyczy den ersten Flop seines Vaters, den der zwar enttäuscht, aber nicht ruiniert überstand.
Er hatte seine erste Kollektion auf der Möbelmesse in Köln gezeigt, „damals kam eine Redakteurin einer bekannten Wohnzeitschrift an meinen Stand, sah sich um und konstatierte bedauernd: ,Ich kann Sie nicht unterbringen‘“, sagt der Gestalter. „Ich passte in keine Kiste, auch ein wohlmeinender Freund attestierte mir Seltsamkeit.“
Er war seiner Zeit voraus, tauschte Kunststoff gegen wertiges Holz, Glas und Metall. Was in den 70er-Jahren häufig als zu schlicht empfunden wurde, trifft heute den Nerv der Zeit. Und die Nachhaltigkeit, die seinen Arbeiten innewohnt, ist gefragt. Ghyczy hat seine Nische gefunden. 180 Produkte umfasst der aktuelle Katalog. Und Felix Ghyczy, seit 18 Jahren in der Firma, Art Director und seit 2007 Geschäftsführer, pusht den Bekanntheitsgrad seines Vaters ebenso unermüdlich, wie dieser entwirft. Jeden Morgen, Punkt 10 Uhr, sitzt er an seinem Schreibtisch. „Gegen 14 Uhr geht es dann los, es ist wie in Trance“, sagt der Designer. Gerade tüftelt er an einem LED-Leuchtensystem. Und nicht selten fischt Felix Skizzen aus dem Papierkorb, er überarbeitet Entwürfe, zuletzt auch das Gartenei. Das Stück, das seit 1998 wieder produziert wird, ist zum 50. Geburtstag in Schwarz und mit Lederpolstern erhältlich. Der Sessel bleibt für Felix Ghyczy ein wichtiges Objekt. Auch privat. Als er seine Frau kennenlernte, entdeckte er eine Fotografie, die sie als Kind bei ihren Großeltern im Garten zeigt: Sie sitzt in einem knallorangefarbenen Gartenei.
Informationen zur Ausstellung unter kunstmuseenkrefeld.de
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